Gewerkschaften sind Vereinigungen von Arbeitnehmer*innen und wollen Arbeitnehmerinteressen vertreten und durchsetzen. Das ist ihr Sinn und Zweck.
Aber Gewerkschaften sind auch Arbeitgeber, sie haben Angestellte, die diesen Sinn und Zweck gemeinsam mit den Gewerkschaftsmitgliedern in den Betrieben durchsetzen sollen. Das tun sie in der Regel auch, mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer können sich ziemlich heftig in die Haare geraten, diese Banalität ist hinreichend bekannt. Leider kann das auch in einer Gewerkschaft passieren. Das ist weniger bekannt.
Work-watch ist schon mehrfach zur Hilfe gerufen worden, um in einem solchen Fall zu vermitteln und nach einer Lösung zu suchen.
Ver.di-Bundesvorstand lehnt Vermittlungsangebot von Günter Wallraff und work-watch ab
Aber diesmal scheint unser Vermittlungsangebot auf taube Ohren zu stoßen. Worum geht es? Seit mehr als drei Jahren knirscht und kracht es in der Ver.di-Zentrale in Berlin, zwischen einem hauptamtlichen Sekretär, der mehrere Jahre Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel war, und dem Bundesvorstand. Günter Wallraff wandte sich vor einigen Wochen auf unsere Bitte hin mit einem Vermittlungsangebot an den Bundesvorstand von Ver.di. Der antwortete, man könne sich ja mal bei Gelegenheit treffen. Unser nachfolgendes Schreiben, das sich ausdrücklich auf dieses Angebot bezog, auch im Namen von Günter Wallraff verfasst war und nach einem konkreten Termin fragte, blieb hingegen gänzlich ohne Echo.
Was ist das Problem?
Im Frühjahr 2022 kündigte Orhan Akman, so heißt der Kollege, um den es geht, seine Kandidatur für den Bundesvorstand an, trat auf dem Gewerkschaftskongress 2023 als Kritiker einer für ihn zu sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftslinie auf und bekam ein Viertel der Stimmen. Schon nach seiner Ankündigung berief der Bundesvorstand von Ver.di ihn Ende August 2022 als Bundesfachgruppenleiter ab, danach wurde er von der Arbeit freigestellt und mehrfach fristlos gekündigt; gut 22 Jahre als hauptamtlicher politischer Gewerkschaftssekretär bei Ver.di hatte er damals auf dem Buckel.
Ver.di hat bisher alle arbeitsgerichtlichen Prozesse mit Orhan Akman verloren. Der Betriebsrat der Ver.di Beschäftigten unterstützt seinen Kollegen in diesen Auseinandersetzungen.
Seit April 2025 wirft Ver.di Orhan nun vor, er habe zu oft krank gemacht, kürzte seine Bezüge, verweigerte die Gehaltsfortzahlung ab Juni 2025 komplett und forderte ihn auf, seine Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil von 2023 den Arbeitgebern das Recht auf dieses Ansinnen erstmals zugesprochen – Ver.di hat, wie andere Gewerkschaften auch, heftig dagegen protestiert, wendet aber nun diese Regelung bei ihrem eigenen Beschäftigten an.
Was darüber hinaus an politischen und gewerkschaftspolitischen Differenzen zwischen dem Kollegen und seiner Gewerkschaftsspitze vorhanden ist, zeigt ein Blick auf die Homepage von Orhan Akman: https://orhan-akman.de/. Dort positioniert sich Orhan als kämpferischer linker Gewerkschafter und scheut die offene Kritik an Ver.di nicht.
Sollte das von der Chefetage einer Gewerkschaft nicht auszuhalten sein?
Die Hartnäckigkeit, mit der hier seit Jahren gestritten wird, beschädigt mittlerweile das Ansehen einer der wichtigsten Gewerkschaften in diesem Land. Als hätten wir Gewerkschafter*innen und auch ver.di nicht genug damit zu tun, uns der Angriffe aus dem Arbeitgeber- und dem Regierungslager auf die Rechte von abhängig Beschäftigten zu erwehren und alle Mitglieder für eine erfolgreiche Gegenwehr zu organisieren.
Nachtrag: Am 5.10. ging bei uns dann doch ein Vorschlag ein, uns bzw. Günter Wallraff “weitere Hintergründe zu erläutern”. Dem Angebot folgte leider am 9.10. eine Absage zu einem Gespräch über eine mögliche Vermittlung durch work-watch. Ver.di sei nur bereit, Günter Wallraff persönlich die Hintergründe des Vorgangs aus Sicht des Bundesvorstands zu erläutern.
Deshalb schließen wir uns nun dem Aufruf auf Change.org an, in dem gefordert wird, Orhan weiter zu beschäftigen und alle Maßnahmen gegen ihn zurückzunehmen:
https://www.change.org/p/orhan-geh%C3%B6rt-zu-ver-di-alle-personellen-und-disziplinarischen-ma%C3%9Fnahmen-zur%C3%BCcknehmen
Weitere Infos zur Geschichte des Konflikts bei LabouNet: https://www.labournet.de/branchen/gewerkschaften/petition-demokratie-bei-ver-di-handel-ernst-nehmen-und-staerken/