Fielmann: „Arbeitsverweigerung des Betriebsrates“

(gk) Bereits im letzten Jahr hatte Work Watch e.V. über die Zustände im Produktions- und Logistikzentrum Rathenower Optische Werke (ROW) berichtet, in der etwa 1000 Beschäftigte den großen Teil der jährlich mehr als drei Millionen Fielmann-Brillen fertigen und montieren.

Überstunden und eine enorme Arbeitsbelastung führten zu Unzufriedenheit und einem hohem Krankenstand vor allem in der Brillenfertigung. Nach langen Verhandlungen und dem Mobbing einzelner Betriebsräte trat Anfang 2016 dort eine neue Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit in Kraft. Mit Hilfe eines Ampelsystems sollte endlich die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden eingehalten und der Betriebsrat an den Entscheidungen über Mehrarbeit angemessen beteiligt werden. Zuvor fertigten die Beschäftigen in den saisonalen Stoßzeiten Fielmann-Brillen sogar 50 Stunden in der Woche.

Nach einem halben Jahr hatte work watch zur neuen Betriebsvereinbarung nachgefragt.

„Die neue ist zwar ein deutlicher Fortschritt gegenüber der alten Betriebsvereinbarung, aber sie sollte auch eingehalten werden“, so der zuständige Gewerkschaftssekretär Lars Buchholz. Im Juli 2016 waren bereits zehn Mitarbeiter in die „rote Phase“ gekommen, d.h. sie haben mehr als 80 Überstunden auf ihrem Konto, sechs Mitarbeiter hatten zu diesem Zeitpunkt bereits die kritischen „sieben Samstage“ gearbeitet.

Diese Betriebsvereinbarung, die der IG-Metall-Sekretär Buchholz als „kleineres Übel“ bezeichnete, ist nun, nach nicht einmal zwei Jahren, erneut ersetzt worden. Immerhin waren darin einige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates für die Genehmigung von Überstunden festgelegt worden. Das ging der Geschäftsführung offensichtlich zu weit. Die neue Betriebsvereinbarung, daran gibt es keinen Zweifel, stellt eine weitere Verschlechterung für die Beschäftigten dar – unter anderem kann die Geschäftsführung jetzt „Minusstunden“ anordnen.

Das Ampelsystem sieht nun eine Spanne von 60 Minusstunden bis 40 Überstunden als „grüne Phase“ und nicht genehmigungspflichtig durch den Betriebsrat an. Das heißt: In diesem Rahmen kann die Geschäftsführung ihre Mitarbeiter auch kurzfristig nach Hause schicken oder länger arbeiten lassen. Die Samstagsarbeit bleibt dabei außen vor und kann extra angeordnet werden. Und selbst außerhalb der Grün-Phase behält sich die Geschäftsführung vor, ohne Zustimmung des BR zu entscheiden. „Soweit in Notfällen (z.B. Katastrophen, Systemabstürze, Maschinenausfälle“ eine Beteiligung des Betriebsrates nicht möglich ist, ist dieser nachträglich zu informieren.“ Was eine „Katastrophe“ darstellt, ist in der Betriebsvereinbarung nicht beschrieben und öffnet also der Willkür Tür und Tor. Die Arbeitszeiten werden fast völlig den Erfordernissen der Produktion unterworfen, nicht den Bedürfnissen der Mitarbeiter, die nun ihre Freizeit und andere Verpflichtungen – Familie, Freunde, Sport, Kultur – noch weniger planen können.

Nach Ansicht von Jens Harenberg und Markus Ponto, die gemeinsam den youtube-Kanal „Betriebsrats TV“ mit regelmäßigen Beiträgen bespielen, degradiert sich der Betriebsrat mit dieser Betriebsvereinbarung, der er mehrheitlich zugestimmt hat, zum „Assistenten der Geschäftsführung“, gibt jegliche Mitbestimmungs- und Kontrollrechte, die er eigentlich ausüben soll, aus der Hand – und damit seinen Schutzauftrag gegenüber den Beschäftigten. Die beiden Experten haben die neue Betriebsvereinbarung analysiert und kommentiert – mit einer gehörigen Portion Ironie und dem Aufruf an die Beschäftigten, im nächsten Jahr einen anderen Betriebsrat zu wählen, der die Interessen der Beschäftigten und nicht die der Geschäftsführung vertritt.